„Politisch-korrekt.“
Text zur Bundestagswahl 2013.
Gelegentlich wird mir zur Last gelegt, mich politisch-unkorrekt zu äußern.
Gelegentlich stimmt das.
Manchmal rede ich halt drauf los, bevor ich vollständig weiß, was ich sagen will. Manchmal finde ich dadurch erst heraus, was ich wirklich sagen will. Diese „Methode“ nenne ich: kreatives Plappern – und das geht manchmal voll in die Hose! Dann rutscht einem etwas Unbedachtes heraus und man landet in einem Rhetorik-Fettnäpfen, so groß wie der Lobbyisteneinfluss in der FDP. Einen solchen rhetorischen Fehlgriff, nennt man dann gerne politisch-unkorrekt und jedes Mal, wenn ich diesen Begriff höre, frage ich mich wieder, wie der sich als Vorwurf in unserem Sprachschatz manifestieren konnte.
Davon ab, dass man schon sehr viel Humor haben muss, um „politisch“ und „korrekt“ aneinander zu reihen, dient politisch-korrektes Reden und Handeln meist dazu, sich nicht angreifbar zu machen.
Das Menschen es angenehmer finden, nicht angegriffen zu werden, kann ich wirklich nachvollziehen. Aber ist es nicht auch das, woran die Politik leidet? Das immer mehr Teflonmenschen belanglose Wischiwaschiaussagen aufsagen und dieses dann als Nachricht/Information verkauft werden muss?
Weiß überhaupt noch jemand, wofür die verschiedenen Parteien stehen? Nein? Vielleicht auch, weil Politiker sich permanent politisch-korrekt äußern müssen, damit sie weniger kritisiert werden, denn keine-Angriffsfläche-bieten geht heutzutage oft schon als erfolgreiche Politik durch.
Mittlerweile ist dieses Bewertungssystem schon so pervertiert, dass jemand, der sich gar nicht mehr äußert, immer beliebter wird. Gleichzeitig wird jemand, der einmal unklug verhält/formuliert, sein Leben lang wie die Sau durch das mediale Dorf getrieben, egal was er für die Gesellschaft geleistet hat.
Mich langweilt diese heuchlerische Empörung, die sich nach jedem falschen Satz, über den Unglücklichen ergießt. Ich will wieder Menschen mit Meinungen, Haltungen und Leidenschaft sprechen hören. Es können auch mal bescheuerte Meinungen sein, hauptsache Standpunkte, die man dann diskutieren kann.
Ist es überhaupt sinnvoll, sich immer nur zu äußern, wenn unsere Aussagen politisch-korrekt sind? Ist nicht jede Beziehung, die Menschen miteinander eingehen, ob als Paar, Eltern/Kind, Bürger/Staat, Wähler/Partei, Arbeitgeber/Arbeitnehmer usw., von einer gewissen Auseinandersetzung abhängig? Natürlich macht der Umgangston die Musik, aber sollte man nicht eine unbeliebte Formulierung/Argumentation in Kauf nehmen, wenn man dafür erfährt, was der andere wirklich denkt?
Jede Gesellschaft braucht kantige Persönlichkeiten, die auch mal etwas Unbequemes sagen, vor allem dann, wenn sich gerade alle anderen einer Mehrheit beugen. Jeder weiß das. Aber richten wir uns danach? Oder richten wir eher den, der das ausspricht, was viele denken und sich nicht mehr zu sagen trauen, aus Angst, entlassen, verklagt oder öffentlich demontiert zu werden?
In Skandinavien gibt es einen gut dotierten gesellschaftlich anerkannten Preis für Menschen, die unbequeme Gedanken äußern.
Vielleicht sollten wir das im Schulwesen einführen, statt Kinder zu bestrafen, wenn sie nicht konform sind.
Vielleicht könnten wir uns auch erlauben, öffentliche Personen Fehler zuzugestehen, statt sie wegen einem einzigen Fehlverhalten zum Rücktritt zu zwingen.
Vielleicht könnten wir alle uns gegenseitig beschützen, wenn einer von uns sich angreifbar macht, statt uns präventiv hinter einer rhetorischen Teflonfassade zu verbarrikadieren.
Wäre das alles nicht wesentlich wert-voller für unsere Gesellschaft, als politische Korrektheit?
Zum Schluss….
Ich denke nicht, dass die Medien sich so leicht ändern können, also müssen Politiker auch in Zukunft jedes Wort auf die Goldwaage legen und ihre Wähler weiterhin zu Tode langweilen.
Aber müssen wir Nicht-Politiker dem nacheifern?
Wir sind unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Meinungen – darunter werden auch immer unbequeme oder idiotische sein, aber wir brauchen Kommunikation mit Andersdenkenden, sonst können wir uns und/oder sie sich, nicht weiterentwickeln.
Zudem ist Feedback von Gleichdenkenden meistens Bestätigung, wir brauchen aber konstruktive Kritik und wenn jeder das akzeptiert, verändern wir die Gesellschaft vielleicht nachhaltiger, als wir jetzt für möglich halten. Dazu gehört auch…
… dass wir Wählen gehen.
Ich beneide jeden, der am Sonntag sein Kreuz machen darf. Ich lebe seit 1974 in Deutschland und weil ich meinen dänischen Pass nicht abgeben will, darf ich nicht wählen. Dabei wäre mein Kreuz wertvoll, weil ich immer kleine Parteien wählen würde, um die großen Parteien in Bewegung zu halten. Eine Strategie, die für die Gesellschaft den größten Nutzen hat und die ich in der dänischen Vielparteienlandschaft gelernt habe.
In diesem Sinne: Viel Spaß in der Wahlkabine. Genießt es, denn Wählen ist eine großartige Errungenschaft, die Bürger wie wir, irgendwann den Mächtigen abgetrotzt haben. Millionen Menschen weltweit beneiden euch um dieses Recht und einer davon wünscht euch jetzt ein schönes politisch-unkorrektes Wochenende.
Euer nicht-wählender Mit-Bürger.
Michel