Das JUNG & NAIV Interview mit Michel Friedmann
Noch nie habe ich ein 3:21 Interview gehört. Mein eigener Rekord war damals 3 Stunden mit Jürgen Vogel zu „Die Welle“, und das war schon viel viel viel zu lang, obwohl wir jede Menge Spaß hatten. Ich sag nur Blitzfrieden.
Erfahrungsgemäß verlieren die meisten Interviews irgendwann die Spannung. Das Interview von Tilo Jung mit Michel Friedmann wird stattdessen immer besser. Irgendwann ertappe ich mich dabei, wie ich am Fenster sitze und ich mir Notizen mache. Hier mein „Live-Blog“, der weder vollständig ist, noch versucht objektiv zu sein….
LIVE-BLOG
Der Anfang kommt noch Standard daher, aber dann wird das hier schnell zu einem wahnsinnig berührenden Zeitzeugen-Dokument. Was MF über das jüdische Leben im Nachkriegsdeutschland erzählt, bricht einem das Herz.
MF kann Sprache. Was er über „Schutzmantel“ und „gefroren“ sagt, ist das wahrscheinlich schönste Zitat, das ich je über einen Mangel gehört habe. Absolut wow!
Seine Aussage zu Gewalt. Seine Pause danach. Mir stehen die Armhärchen. Mega-emotionaler Moment, den TJ sehr schön unkommentiert stehen lässt.
Dass MF, als so meinungsstarker Mensch, sowenig Gewalt erlebt hat, überrascht mich – und freut mich zugleich sehr für ihn. War er so gut geschützt oder hatte er Glück? Jedenfalls, wie offen, er über seine Angst spricht, ist berührend.
Was MF über Journalismus und Interviewführung sagt, finde ich interessant. Hätte mir das doch bloß jemand damals erklärt, als ich aktiv war. Ich kannte keine Unterschiede, war Fan von Wolfgang Korruhns Methode, zu nahe, zu persönlich, immer.
#wolfgangkorruhn
MFs Eitelkeit ist noch spürbar am Leben. Er versteckt sie nicht mal, doch TJ reagiert nicht drauf. (Später betont MF nochmal nachdrücklich: er sei ja völlig uneitel. Dazu hätte ich jetzt dann doch mal nachgefragt. Zu meiner Überraschung: TJ immer noch nicht.)
Eindrucksvoll! MFs Entschuldigung zum damaligen Koks/Nutten-Skandal. So sieht mea culpa nach einem Skandal aus. Bitte merken, falls ihr mal in Schwierigkeiten kommt. 🤪
Wooow! Der Sucht-Moment. Hallo! SO geht Interview!
Dann: MF weicht aus, jetzt ganz der Anwalt, nicht zu fassen, und TJ lässt ihn vom Haken. Guter Gastgeber oder zu viel Respekt? Jedenfalls, nice, wie MF das Suchtding gerade umgedreht hat. Spürbar wunder Punkt an ihm. Schade, dass TJ nicht weiter hinterfragt. Andersgesehen, ist er vielleicht einfach schlau genug, es zu lassen.
#schlaueralsicheswar
Kontrollverlust. Fuck. MF spricht ungefähr das aus, was ich seit langem versucht habe zu formulieren. Ich selber habe Angst vor dem Kontrollverlust der anderen, deswegen habe ich selten Kontrollverlust mit anderen. Man sieht mich nie betrunken in der Öffentlichkeit etc. (Ausnahmen bestätigen die Regel 😬🤪)
Ein wirklich großartiges, wenn auch klassisches Sachebene-Interview, es wird meiner Meinung nach zu wenig abgefragt, wie der andere sich gerade fühlt, als wäre das Emotionale kein Teil des Befragten.
Wieder: Was MF denkt, oder woran er sich erinnert, wird durchgehend abgefragt, sein Gefühl dazu wenig bis gar nicht. Deswegen wird hier auch gerade eher die Person befragt, als der Mensch. Eine Unterscheidung meinerseits.
Dennoch: Ich habe MF noch nie so viel persönlich/private Nachfrage-Fläche anbieten sehen, aber das Gespräch zu emotionalisieren, ist scheinbar nicht TJs Vorhaben. Vielleicht ist er einfach ein besserer Journalist, als ich es war. Ein klügerer, auf jeden.
Beim Thema CDU warte ich nun gespannt auf das Nachharken in Sachen Merz. Erst mal nichts, und dann wenig. Schade. Aber interessant, dass MF jetzt schon über Wüst etc., spricht, nicht über Merz. Eine Spaltung der CDU ist auch mal ne krasse Ansage.
„Juden sind nicht auf Augenhöhe bei einem deutschen Christen??“ What??? Was war das denn?? Keine Nachfrage Tilos. Warte, ich spule mal zurück. Okay, in der Whl geht klar hervor, dass MF konkret die Person Höcke meinte. Besser Zuhören, Däne! So ein langes Gespräch saugt Konzentration.
Höcke einladen? Tilo weicht der Gegenfrage aus. No prob. Aber wie er ausweicht, ist schon … nun ja, schlapp. „Man muss nicht alles öffentlich bereden?“ Hui. Da hat er sicherlich bessere Ausweichvarianten im Köcher, aber heute scheinbar nicht.
#idontlikethursdays
Tilo weicht heute fast allem aus, was spontan zurückkommt. Wirkt etwas angestrengt. Haben die eine Absprache und MF bricht die, und erwischt TJ ständig auf dem Linken? Jedenfalls, seltsam passiv in der Re-Aktion.
#meinlinkerfuss
Wichtig, was MF über den Nahen Osten und unsere West-Urteile sagt. In Momenten wie diese, vermisse ich immer noch Scholl-Latour.
Arroganz gilt ja als Schutzmantel der Unsicheren. Wie unsicher muss MF früher gewesen sein, und was ist seitdem passiert? Er wirkt heute so … sympathisch. Wenn ich bedenke, wie wenig ich früher an ihm andocken konnte, muss ich an Heiner Geissler denken, bei dem es mir ähnlich ging. Ist MF Altersmilde?
Hahaha, und das kommt dann als erste Zuschauerfrage. Ich wars nicht. Und MF windet sich unnötig heraus. Schade. Das Handy ist der Hand ist natürlich auch ein Brett, der letzte Eindruck und so.
Der Zuschauer-Frager geht kontra und schwimmt. Frontal kriegt man MF nicht auf die Schnelle geknackt. Vielleicht hat TJ es richtig gemacht und MF einfach sein lassen? Was hätte ich gemacht? Vermutlich irgendwas Provokantes, aus dem sich neuer Inhalt ableiten ließe…
#zuradikal
WOW… Was MF zum Abschluss übers Demonstrieren sagt, ist einfach wunderschön. ❤️ Ich hoffe, ALLE demonstrierenden der letzten Wochen, hören das. Thats it!
#freedom
#enjoydemokratie
#fightforyourright
So lässt es sich aufhören. Im Abspann hätte ich allerdings die Mics offengelassen, das erklärt vielleicht auch, warum meine Interviewer-Karriere so kurz war. 😬 Aber Körpersprache klärt auch was. Die sind sich schon irgendwie nahe, aber der Status ist auch klar, wer tätschelt hier wem das Haupt, wer kniet etc.
Fazit: Bestes Interview seit langem. Was bleibt hängen…
1) Ab jetzt werde ich mir wieder mehr Interviews anhören. Hatte die Lust verloren, weil allerorts einfach zu langweilig/gescripted agiert wurde. Falls ihr Tipps für brillante talks habt, gerne her damit.
2) Es fiel auf, dass TJ wenig konfrontativ war, aber wie gesagt, vielleicht Klugheit, vielleicht Deal, vielleicht (zu) großer Respekt.
3) Dass MF in seinem Alter noch immer kein Kompliment annehmen kann.
4) … nennt mich Nerd, aber dass MF keinmal auf die Geschlechter einging, hat mich schon gewundert. Es gibt weltweit keine größere dauer-diskriminierte Gruppe, als Frauen. Die hätten in einem 3:21-Gespräch über alle Formen von „Diskriminierung“ stattfinden können. Hautfarbe, Religion, Schwul, Queer, jede Abweichung vom weißen deutschen Mann war Thema, aber das Thema Frau nie – oder hab ich das überhört?
5) Was MF über Demokratie sagt, ist ein Brett: „Die Demokratie kann nur basieren auf der Grundlage jeder ist jemand.“ #menschenrechte
6) Was er über Oskar Schindler sagt, war extrem spannend. Werde mir den Film jetzt nochmal angucken.
7) Nichts auf der Welt ist inspirierender, als ein gutes Gespräch.❤️
Liebe Leute,
absolute Empfehlung für dieses Interview. Ja, es ist verdammt lang, aber gerade nach den letzten DEMO-Wochen, (und vor dem Wahljahr), sollte man das hören, denn es ist zudem auch noch ein berührendes Zeitzeugen-Dokument gegen das Vergessen…
Ich vergesse, ich vergaß, ich vergaste.
Das war mein erster und vermutlich letzter Interview-Liveblog. Ich danke allen, die sich dafür interessieren. Ich grüße euch beide. 😘
Michel
#jungundnaiv🙏
#michelfriedmann🙏
#miteinanderreden❤️