RASISSMUS VERGESSEN

Juni 26, 2020    

2016 stand ich nach einer Preisverleihung mit einer schwarzen Schauspielerin zusammen. Zu der damaligen Zeit schrieb ich gerade an einem Roman, in dem eine der Hauptfiguren eine schwarze Frau ist, die in einem weißen Umfeld aufwächst. Ich nutzte die Gelegenheit und fragte diese Schauspielerin, wann sie persönlich zum letzten Mal Rassismus erlebt hatte. Mir war klar, das musste lange her sein, denn wer würde einem so freundlichen, erfolgreichen und attraktiven Menschen anders als mit Respekt begegnen, nicht wahr? Die Zeiten haben sich doch geändert, oder? Wisst ihr was? FÜNF Minuten zuvor hatte ein Mann ihr in die Haare gegriffen und irgendwas mit „Stroh“ gesagt. Mitten auf der gottverdammten Preisverleihung! Und wir reden da noch nicht mal über die Nachteile im Beruf, bei der Wohnungssuche oder bei Polizeikontrollen etc. etc. etc. Nein, wir reden bloß darüber zu einer verdammten Veranstaltung zu gehen, ohne rassistisch diskriminiert zu werden.
Ich war sauer und nahm mir an diesem Abend vor, meine PoC-Freunde nach ihren Rassismus-Erlebnissen zu fragen und dann ein Projekt auf die Beine zu stellen und die Welt zu informieren, ich wollte so richtig ein Fass aufmachen – und wisst ihr was?
Ich habs vergessen.
Dazu muss man wissen, dass es in meinem Leben immer wieder Phasen gab, in denen ich mich intensiver mit Rassismus auseinandergesetzt habe. Spätestens, wenn man eine schwarze Frau als Partnerin hat, geht man noch mal anders ins Thema – und staunt. Plötzlich verändert sich die Welt ein bisschen. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten.
Als Autor bin ich sensibel, was Sprache angeht, und wenn jemand deine schwarze Begleitung mit „die da“ anspricht, dann will einem nicht einfallen, wann jemand eine weiße Freundin von dir, als „die da“ bezeichnet hat.
Noch nie kniepte mir ein Fremder in einer Bar zu, und sagte, dass meine weiße Freundin „bestimmt richtig gut ist.“
Noch nie wurde eine weiße Partnerin, die in einem Hotel mit mir aufs Zimmer wollte, nochmal angesprochen und kontrolliert.
Noch nie wurde eine weiße Partnerin, in der ersten Klasse der deutschen Bahn gefragt, ob sie sich das leisten kann.
Die hässlichste Fratze des Alltagsrassismus habe ich allerdings mit Ämtern erlebt. Man glaubt nicht, wie manche Leute dort ihre Macht missbrauchen.
Ja, ich habe Rassismus oft gehasst und ihn gelegentlich bei mir selber festgestellt – was mich gestresst hat.
Aber.
Obwohl mich Rassismus so oft emotional angefasst hat, obwohl ich mich mit dem Thema immer wieder mal phasenweise intensiv befasst habe, obwohl ich dutzende Bücher und Filme zu dem Thema habe, und viele Gespräche darüber geführt habe, DENNOCH tue ich oftmals das, was kein Nicht-Weißer tun kann:
Ich vergesse manchmal eine ganze Zeitlang, dass es Rassismus gibt.
Weil ich ihn, als weißer Mann, in meinem Alltag selber kaum erlebe.
Seit Ewigkeiten werden Menschen wegen ihrer Herkunft und/oder ihrem Aussehen diskriminiert, erniedrigt, verletzt und getötet. Ich will, dass das aufhört! Und ich schreibe diesen Text, damit vielleicht noch andere weiße Menschen WIRKLICH verstehen, wieso wir privilegiert sind – und wieso wir wegen, oder gerade trotz dieses Privilegs, nie mehr vergessen dürfen, dass es Rassismus gibt. Dann wird die Welt sich verändern.
One world.
Michel
#fuckracism

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