Ein Däne in Berlin

September 5, 2007    

Ja ja, die Hauptstadt. Keine Hauptstadt der Umgangsformen, aber immer eine Reise wert, so auch diesmal.
Die Lesung im BKA-Theater war gut beworben worden und so hätte ich mehr Zuschauer erwartet – bis ich erfuhr, dass es jeden Tag 1.500 Veranstaltungen in Berlin gibt. 1.500… Da kann man froh sein, wenn überhaupt Zuschauer kommen, was? Und meine blieben sogar. Manche bis zum nächtlichen Imbiss im Curry 36, in dem ich vom Wurstverkäufer als „schwul“ tituliert wurde, weil ich um Besteck bat. Berlincharme.
Was in Berlin immer schön ist – alte Freunde treffen. So tauchte Dephazz-Sängerin Pat Appleton mit ihrer neuen Solo-CD „Whats next?“ auf. Ich ließ die CD mehrmals durchlaufen und quälte Pat von der Bühne aus mit Lob. Ahhh, war das ein Spaß! (Die CD kann ich übrigens empfehlen – und das sag ich jetzt nicht nur um Pat fertigzumachen.)
Sehr schön auch, eine alte Freundin wieder zu sehen, die ihren Besuch aus Brasilien mitbrachte – die kein Deutsch konnte. Ohne Sprachkenntnisse in eine Lesung? Was hat die sich bloß 2 Stunden lang gedacht?
Als ich sie anschließend mit Simultandolmetscher befragte, stellte ich fest, dass sie mehr verstanden hatte, als eine Zuschauerin, die meine Art Lesungen zu führen, kritisierte. Kann ja sein, dass ich nicht das Bild einer ganz normalen Lesung bediene, aber mich von einer Fremden als Kasper bezeichnen zu lassen, bloß weil ich ihre Erwartungshaltungen nicht alle erfüllt habe – Mann, das gibt’s echt nur in Berlin.
Die Lesung hatte ich meinem Vater gewidmet. Ich schwärmte ein bisschen von ihm, erzählte Anekdoten und las seinen Handlungsstrang aus BEZIEHUNGSWAISE. Eine Art Hommage eines Kindes an seine Eltern. Eigentlich etwas schönes, finde ich. Darum mache ich es ja. Muss nicht jedem gefallen und man kanns sowieso auch nicht jedem recht machen und ich würde das auch gar nicht wollen. Aber. Mich verblüffen die Reaktionen, die es manchmal auslöst, wenn man sich in der Öffentlichkeit hinstellt und von seinen Eltern schwärmt.
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion löste der, vielleicht witzig gemeinte, Vorschlag, ich solle mal ne Familienaufstellung machen, dann eine Debatte aus, die sich zu einer kontroversen und erstaunlich persönlichen Diskussion über Schubladendenken, Ehe und Familie quer durch den Raum ausweitete. Ich saß derweil auf der Bühne und verfolgte das Gespräch unten im Saal. Manchmal schien es, man hatte mich vergessen.
Später ging das Gespräch im kleineren Kreis weiter. In der Hauptstadt versteckt man seine Psychosen nicht so intensiv. Manche pflegen sie lieber. Und so gab es persönliche Ansagen und Augenblicke. Danke.
Ja, Berlin. Es war zwar nur ein kurzer Besuch, aber was ich an dieser Stadt einfach mag, ist, dass sie nicht „nett“ ist. Da wird man vielleicht mal aus dem Publikum angemacht, aber eben auch von einer 70jährigen mit Tränen in den Augen umarmt und geküsst. Man lässt sich von einem Bettler zusammenfalten, weil man ihm nur 2 Euro gegeben hat und wird wenig später von einer Fremden vier Straßen lang zu Fuß durch den Regen begleitet, weil sie einen Regenschirm hat und man selber einen Anzug trägt, den sie einfach nicht nass werden lassen will. Gute Augenblicke. Für mich als Mensch. Für den Schreiber sowieso. Ich war zwar manchmal genervt. Aber ich muss möglichst schnell wieder hin. In Berlin kann immer was passieren. Das tut gut.
Bis bald!
Michel

  /  

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar
Fehler in der Angbe
Bitte korrekt ausfüllen.
Bitte korrekt ausfüllen.
Bitte korrekt ausfüllen.