Karnequal

März 6, 2006    

Und zur Feier des größtmöglichen Kulturmassakers, das mal wieder vor der Tür steht. Wolle ma es reinlosse?
Als ich nach Köln zog, hatte ich schon tausendunddrei Karnevalsgeschichten gehört und das klang so: Fünf Tage vorprogrammierten Spaß für, als Transen verkleidete Spießer, die zu uncooler Musik schunkelten, um dann im besoffenen Kopf Frauen niveaulos anzubaggern. Das hörte sich nicht wirklich nach Spaß an, fand ich, doch dann las ich eine Kleinanzeige in einem Stadtmagazin: Wachte Aschermittwoch im „Königsblut“ auf, fremde Jacke an, Lippenstift am Schwanz, bitte um sachdienliche Hinweise…
Ich fand, das klang lustig, also steuerte ich am nächsten Weiberfastnacht neugierig die erstbeste Kneipe an, um mich selbst zu überzeugen, und… auf Tisch und Stuhl tanzten bierselige Zorros und baggerten im besoffenen Kopf Funkenmariechen niveaulos an, dazwischen schunkelten grölende, als Transen verkleidete Spießer und was zum Teufel war das für üble Musik…!
Ich wollte gerade wieder abhauen, als mir ein sexy Kaninchen ihre Zunge in den Mund und ein Kölsch in die Hand schob. Ich dachte, na ja, eins kannste ja, aber dann mußte wirklich weg hier.
Nach dem Kölsch, mußte ich ihr natürlich auch eins ausgeben, worauf mir ihre Bullen-Freundin auch eins ausgab, worauf ich ihr natürlich auch eins ausgeben mußte, worauf die Bulette einen Panzerknacker in Handschellen legte und abführte, als sie gerade vier Kölsch bestellt hatte. Wir verschenkten zwei Kölsch an ein Teletubbipärchen, worauf es uns zu vier neue einluden und … irgendwann begann ich mitzusingen.
Als ich nachmittags aufwachte, meinte das Kaninchen, ich müßte jetzt gehen. Ich fragte, ob wir uns wieder sehen. Sie blinzelte. Dann platzte sie: „Super!“ lachte sie und warf mich raus.
Für sie mag ich ein normales Karneval-Malöörche gewesen sein, aber als ich noch Wochen später an sie dachte, beschloß ich eine Kleinanzeige aufzugeben: Gab dir im Kaninchenbau die Möhre – bitte melde dich! worauf sechs weibliche und ein männliches Kaninchen anriefen, um mich wiederzusehen… Ich traf mich mit den weiblichen, doch mein Kaninchen war nicht dabei. Es ging mir schlecht, ich war verliebt.
Im Folgejahr trieb ich mich vier Nächte durch den Karneval, um mein Kaninchen zu finden. Vergebens. Als ich deprimiert in der Kneipe stand, in der ich sie kennengelernt hatte, gab eine Matrosin mir ein Bützje und ein Kölsch, ich dachte, na ja, eins kannste ja, dann mußte aber echt weiter…
Für sie mag ich ein Karneval-Malöörche gewesen sein, aber als ich noch Wochen später an sie dachte, beschloß ich eine Kleinanzeige aufzugeben: Hast auf meiner Brücke die Navigation übernommen – Bitte melde dich! worauf achtzehn Matrosinnen anriefen, um mein Ruder in die Hand zu nehmen, doch meine Matrosin war nicht dabei. Es ging mir schlecht. Ich war verliebt.
Jahr für Jahr, das selbe: Kaninchen, Matrosinnen, Funkenmariechen, Piratinnen, Biene Majas, Buletten, Prinzessinnen… ich verliebe mich immer und zwar in den Karneval. Dieser Zustand, in dem Spießer, Bürger und Katholiken den letzten Rest Lebensfreude und Hemmungslosigkeit ausleben, steckt mich an, auch wenn der Zustand am Aschermittwoch pünktlich wieder abgestellt wird, aber …
Fünf Tage durch deutsche Straßen zu gehen und dabei von Fremden angelächelt, abgefüllt, umarmt, eingeladen und geküßt zu werden, all das erhält mir die Hoffnung, das wir eines Tages tatsächlich One World werden. Yep, Karneval ist spirituelles Hocherlebnis. Außer für Leute, die sich schnell verlieben!
Als ich letztes Jahr neben einer Tomate aufwachte, die mich sofort rauswarf, reichte es mir. Ich beschloß mich nie wieder im und in den Karneval zu verlieben.
War gar nicht schwer.
Doch jetzt ist es wieder so weit. Draußen tobt der Karneval, aber ich hänge am MAC und schreibe. Ich werde da auf keinen Fall rausgehen. Kreativ statt Kreatur.
Doch dann ruft meine Exmitbewohnerin an. Sie steht im „Alcazar“ und ist pleite. Wegen einer Sache, die sie geschworen hat, nicht weiterzuerzählen, schulde ich ihr was, also mach ich mich auf, um ihr einen Hunderter zu bringen.
Eine halbe Stunde später bin ich endlich in der Stadt. Aus dem Laden knallt üble Musik und an der Tür fällt mir ein als Transe verkleideter Spießer entgegen, alles klar, nur die Kohle abliefern, dann nichts wie weg hier.
Eine weitere halbe Stunde brauche ich um mich durch den Laden zu boxen und Gewißheit zu bekommen: Meine Exmitbewohnerin ist nicht mehr da. Miststück.
Ich will gerade abhauen, als eine extrem lustige Frau Dracula mir die Zähne in den Hals schlägt und ein Kölsch in die Hand schiebt. Na ja, was soll´s, eins kann ich ja, dann muß ich aber echt los…
Rammte dir den Holzpflock ins Herz – bitte melde dich!
Ich wünsche euch viel Spaß!
Michel
Nach Diktat verreist

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