Die erste und letzte JVA-Lesung

Dezember 12, 2009    

Mit der Einstellung meistens einfach Ja zu sagen, habe ich mir schon eine Menge Spaß eingehandelt. Dazu Liebe, Augenblicke, Gespräche, Reisen, Begegnungen und andere großartige Erfahrungen. Doch manchmal ist die Entscheidung falsch.
So neulich.

Ich wurde angefragt, ob ich vor einer Lesung, einen Auftritt in der 5 Kilometer entfernten JVA machen würde. Ich sagte Ja. Überall schon gelesen, aber im Knast nie. Neue Erfahrung, also los. Leider vergaß ich zu fragen, wer da drin sitzt und kurz vor dem Auftritt realisierte ich, dass es circa 100 Sexualtäter waren, die Hälfte davon lebenslänglich.

Ich kann Skinheads verstehen, wenn auch nicht ihre Dummheit und Aggressionen gutheißen… Ich kann für manche Mörder Verständnis aufbringen, sogar, wenn die Sache mein Leben betrifft… Ich kann Bänker und andere Gierjunkies verstehen, aber nicht ihre Haltung, dass das System Schuld sei. Mit ähnlichen Aussagen, Ich habe nur Befehle befolgthaben sich damals Nazis rausgeredet… Wenn ich mich bemühe, kann ich alles verstehen.
Pädophile und Vergewaltiger will ich aber nicht verstehen. Ich könnte vielleicht, aber ich möchte es nicht. Und ich muss auch nicht. Ich will sie einfach scheiße finden und hassen. Wegen all den Frauen auf der Welt und den vielen Freundinnen von mir, die von diesen Arschlöchern vergewaltigt, beschmutzt, benutzt und seelisch verstümmelt worden sind.

Als ich neulich Abend begriff, dass ich gleich vor der Menschengruppe auftrete, die ich am meisten verachte, hatten sich bereits mehrere Eisentore hinter mich geschlossen. Was jetzt? Zicken oder Durchziehen? Wie immer…

Ein stranger Abend. Gitter, Wachpersonal, Eisentüren, keine Fenster, doch das Publikum, circa hundert männliche Insassen und 3 Frauen vom Personal, wurde unterhalten. Ich erzählte von meiner Kindheit und meiner Ausfahrt Kunst. Viele meiner Jugendfreunde sitzen im Knast oder sind tot, doch weil ich Musik- und später das Schreiben entdeckte, gehöre ich nicht dazu. Vielleicht kam das bei dem einen oder anderen an. Vielleicht. Was aber ganz sicher ankam, war die Erkenntnis, als ich anschließend völlig überdreht zur nächsten Lesung fuhr, ICH MACHE NIE WIEDER WAS FÜR TÄTER!
Ich werde nie wieder einen Finger für Täter krümmen. Vielleicht ne Faust. Aber keinen Finger. Ich möchte mich verstärkt für Opfer einsetzen. Sowohl. Als auch. Ich werde das Honorar der JVA-Lesung für den Weißen Ring spenden. Wenn ihr weitere schöne Ideen habt, wie ich helfen kann, inspiriert mich bitte.
Danke.

Apropos Danke.
Eine Freundin, die sich von Tätern nicht brechen ließ, schrieb mir neulich: Ich hoffe, das Wort Danke nutzt sich nicht ab. Groß. Nein Süße, das Wort erwischt mich immer wieder voll. I love Danke! Und die Gründe dafür. Und die Anlässe. Und die Motivation.
Mads, der Protagonist in meinem neuen Roman, sagt: Helfen hilft! Und anschließend sagt dann meistens auch noch jemand danke zu dir.
Und ich mal wieder zu euch. Das Gästebuch ist ein warmer Ort, dank euch. Die Mails die ich bekomme, sind zum Teil unbeschreiblich. Ehrlich, warm und schön. Und manchmal so perfekt getimt, dass ich denke, ihr habt ne Webcam in meiner Wohnung. Gerade in den letzten Wochen wurde ich extrem beschenkt. Es bedeutet mir viel. Und ich, der Konzerte hasst, in denen die Künstler irgendwann sagen, I love you all! oder ganz Westernhagenerisch: Ihr seid geil! möchte euch sagen: …………………………………………………… Danke.

Michel

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